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Europas Finanzsystem neu gestalten

Bruegel-Forscher André Sapir und Guntram B. Wolff über die Reform des Bankensektors

Publishing date
28 October 2013

Mit dem bevorstehenden Stresstest (Asset Quality Review / AQR) der Europäischen Zentralbank EZB hat Europa die einmalige Chance, sein Finanzsystem neu zu gestalten, um es stabiler und effizienter zu machen. Dazu braucht es entschlossenes Handeln auf zwei Ebenen: bei der Bereinigung der Bankbilanzen, und beim Aufbau eines echten Binnenmarkts für Finanzdienstleistungen. 

Vor Beginn der Krise hatte sich in Europa ein weitgehend integriertes Finanzsystem herausgebildet. Dies galt vor allem innerhalb des Euroraums. Allerdings war die Integration alles andere als vollständig. Während der Interbankenmarkt hoch integriert war, blieben sowohl das Privatkundengeschäft als auch die Kapitalmärkte entlang nationaler Grenzen fragmentiert. Bankfusionen wurden vorwiegend zwischen Institutionen ein und desselben Landes angebahnt, nur in Zentral - und Osteuropa gab es einige Ausnahmen. Dies führte dazu, dass der Anteil der von Ausländern gehaltenen Bank-Vermögenswerte am Gesamtvermögen in den großen westeuropäischen Ländern immer noch unter zehn Prozent liegt.

Da das Privatkundengeschäft wenig integriert war, kam es unvermeidlich zu einer Fragmentierung des Euro-Finanzsystems, als der Interbankenmarkt infolge der Krise zum Erliegen kam. Was noch von einem grenzüberschreitenden Privatkundengeschäft übrig war, wurde durch regulatorischen Druck der nationalen Aufsichtsbehörden völlig eliminiert. Angesichts der unterentwickelten und fragmentierten Unternehmensanleihen- und Aktienmärkte in Europa führte die Krise im Bankensektor zu massiver finanzieller Instabilität und zu einer schweren Kreditklemme. Das Ergebnis war ein massiver Wachstumseinbruch.

Die AQR bietet nun die einmalige Gelegenheit, das Vertrauen in die  Bankbilanzen wiederherzustellen und die Krise zu beenden. Bisher haben die europäischen Länder ihren Geldinstituten massiv unter die Arme gegriffen, um Fusionen und Abwicklungen zu vermeiden. Die Weigerung, den Bankensektor zu bereinigen, hat die Krise jedoch eher verlängert als gelöst. Seit 2008 haben nur 13 US-Banken öffentliche Hilfe vom Einlagensicherungsfonds FDIC bekommen, während mehr als 50 europäische Banken Staatshilfen erhielten. Im selben Zeitraum sind fast 500 US-Banken Pleite gegangen, während weniger als 50 in Europa dasselbe Schicksal ereilte. Die unterschiedliche Herangehensweise auf beiden Seiten des Atlantiks führte zu unterschiedlichen Ergebnissen im Kreditgeschäft - wobei Europa immer noch unter einer schwachen Kreditvergabe leidet.

Ein harter Stresstest sollte nun der erste Schritt eines Prozesses zur Neugestaltung des europäischen Finanzsystems sein. Dabei wird eine umfassende Rekapitalisierung und Restrukturierung des Bankensektors nötig sein. Um die Banken von den Staaten abzulösen, ist es unvermeidbar, Shareholder und Großinvestoren an den Lasten zu beteiligen. Für die nicht überlebensfähigen Banken wird es entscheidend sein, die europäische Forderung nach Restrukturierung und Abwicklung auch tatsächlich umzusetzen. In der europäischen Bankenunion können wir uns keinen Protektionismus zugunsten nationaler Champions erlauben. Banküberschreitende Fusionen und Verkäufe sollten vom geplanten Gemeinsamen Abwicklungsregime (Single Resolution Mechanism) gefördert werden, das parallel zu der neuen Bankenaufsicht (Single Supervisory Mechanism) aufgebaut werden muss. Nur ein besser integriertes Privatkundengeschäft könnte den Teufelskreis, der Banken und Staaten aneinander bindet, glaubwürdig durchbrechen. Denn es würde ja bedeuten, dass die Schuldner in den jeweiligen Heimatländern der Banken weniger exponiert sind, die Regierungen inbegriffen. Die Regierungen sollten dem europäischen Abwicklungsmechanismus genügend Kapital bereitstellen, so dass dieser jene Banken rekapitalisieren kann, die von lebenswichtiger Bedeutungen für das Europäischen Finanzsystem sind. Europäische Rekapitalisierung sollte aber auch europäische Kontrolle heißen. In einem zweiten Schritt sollten dann neue Regeln erlassen werden, um die europäischen Banken unabhängiger von Staatsschulden zu machen.

Die Reform sollte sich nicht nur auf den Banksektor beziehen: Die EU muss auch einen echten grenzüberschreitenden Aktien- und Unternehmensanleihen-Markt entwickeln, um künftige Schocks besser abfedern zu können. Der Aufbau dieser Märkte wird eine weitere Harmonisierung der Regeln für Corporate governance, der Insolvenz- und Steuergesetzgebung erfordern. Dies würde gleichzeitig die hohe Abhängigkeit der EU-Wirtschaft von der Bankfinanzierung verringern. Zudem würde es die wirtschaftliche Stabilität verbessern - dank einer besseren Streuung finanzieller Risiken.

Die Regierungen sollten sich klar machen, dass der Stresstest die vielleicht letzte Chance für Europa darstellt, sein Bankensystem wieder fit zu machen und endlich ein stabiles und effizientes finanzielles Ökosystem zu schaffen. Die Zeit der nationalen Champions ist ein für allemal vorbei. Restrukturierungen und Fusionen müssen von der Bankenunion übernommen werden, in Europas gemeinsamem Interesse. Die Weichenstellungen, die in den nächsten Monaten getroffen werden, werden die Zukunft der europäischen Bankensystems bestimmen. Eine unzureichende und rein nationale Bereinigung wird Wachstum und Beschäftigung auf Jahre hinaus schwächen. Die Regierungen müssen jetzt das Nötige tun.

Siehe zu diesem Thema auch die Policy contribution - 'The neglected side of banking union: reshaping Europe's financial system'

About the authors

  • André Sapir

    André Sapir, a Belgian citizen, is Senior Fellow at Bruegel. He is also University Professor at the Université libre de Bruxelles (ULB) and Research Fellow of the London-based Centre for Economic Policy Research.

    Between 1990 and 2004, he worked for the European Commission, first as Economic Advisor to the Director-General for Economic and Financial Affairs, and then as Principal Economic Advisor to President Prodi, also heading his Economic Advisory Group. In 2004, he published 'An Agenda for a Growing Europe', a report to the president of the Commission by a group of independent experts that is known as the Sapir report. After leaving the Commission, he first served as External Member of President Barroso’s Economic Advisory Group and then as Member of the General Board (and Chair of the Advisory Scientific Committee) of the European Systemic Risk Board based at the European Central Bank in Frankfurt.

    André has written extensively on European integration, international trade, and globalisation. He holds a PhD in economics from the Johns Hopkins University in Baltimore, where he worked under the supervision of Béla Balassa. He was elected Member of the Academia Europaea and of the Royal Academy of Belgium for Science and the Arts.

  • Guntram B. Wolff

    Guntram Wolff was the Director of Bruegel. Over his career, he has contributed to research on European political economy and governance, fiscal, monetary and financial policy, climate change and geoeconomics. Under his leadership, Bruegel has been regularly ranked among the top global think tanks and has grown in influence and impact with a team of now almost 40 recognized scholars and around 65 total staff. Bruegel is also recognized for its outstanding transparency.

    A recognized thought leader and academic, he regularly testifies at the European Finance Ministers' ECOFIN meeting, the European Parliament, the German Parliament (Bundestag) and the French Parliament (Assemblée Nationale). From 2012-16, he was a member of the French prime minister's Conseil d'Analyse Economique. In 2018, then IMF managing director Christine Lagarde appointed him to the external advisory group on surveillance to review the Fund’s priorities. In 2021, he was appointed to the G20 high level independent panel on pandemic prevention, preparedness and response. He is also a professor (part-time) at the Solvay Brussels School of Université Libre de Bruxelles, where he teaches economics of European integration.

    He joined Bruegel from the European Commission, where he worked on the macroeconomics of the euro area and the reform of euro area governance. Prior to joining the Commission, he was coordinating the research team on fiscal policy at Deutsche Bundesbank. He also worked as an external adviser to the International Monetary Fund.

    He holds a PhD in economics from the University of Bonn and studied in Bonn, Toulouse, Pittsburgh and Passau. He taught economics at the University of Pittsburgh and at Université libre de Bruxelles. He has published numerous papers in leading academic journals. His columns and policy work are published and cited in leading international media and policy outlets. Guntram is fluent in German, English, French and has good notions of Bulgarian and Spanish.

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