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Europa muss Griechenland eine Zukunft bieten

Publishing date
25 June 2012
Authors
Zsolt Darvas

Die Wahlen in Griechenland am 17. Juni haben etwas Erleichterung gebracht. Eine neue Regierung wurde gebildet, die sich mit den europäischen Partnern und dem IWF an einen Tisch setzen wird, um die Bedingungen des aktuellen Hilfsprogramms zu diskutieren, vielleicht auch zu überarbeiten. Die unmittelbare Gefahr eines griechischen Austritts aus dem Euroraum ist gebannt.

Doch dies ist nur eine vorübergehende Erleichterung. Sowohl für Griechenland als auch für den Rest der Euroraums muss noch viel getan werden.

Wie ich bereits früher angemerkt habe, muss Europa Griechenland eine Zukunft nach den Wahlen eröffnen, wenn eine kooperative Regierung gewählt wird. Nun ist eine neue Regierung gewählt worden, die sich wahrscheinlich kooperativ zeigen wird. Doch die Troika aus EU-Kommission, EZB und IWF wird wahrscheinlich zu dem Schluss kommen, dass Griechenland seine Verpflichtungen aus dem Memorandum zu einem großen Teil verfehlt hat. Die Frage ist nun: Warum sollte Europa irgendetwas für Griechenland tun, bevor Griechenland geliefert hat?

Die Gründe dafür sind vielfältig. Sie reichen von der bereits erfolgten Bestrafung über eine gemeinsame Verantwortung bis hin zur Selbstverteidigung des Euroraums.

1.  Die bereits erfolgte Bestrafung. Keine Frage, die Griechen haben sich unverantwortlich verhalten, als sie bis 2009 hohe Staatsschulden anhäuften. Unverantwortliches Handeln sollte mit korrektiven Maßnahmen beantwortet werden. Doch die Bestrafung hat zu einem dramatischen, höchstwahrscheinlich zu weitgehenden wirtschaftlichen Ergebnis geführt: Zwischen dem 3. Quartal 2008 und dem ersten Quartal 2012 fiel das griechische BIP in bereinigten Zahlen um 18 Prozent, und die Beschäftigung sank um 15 Prozent. Niemand kann beurteilen, wie hoch der „Preis“ für die vor der Krise gemachten Fehler sein sollte. Doch mein Eindruck ist, dass das griechische Volk bereits übermäßig leidet. Und dabei ist das Leiden nicht einmal vorbei: Die griechische Produktion und die Beschäftigung befinden sich in freiem Fall, und ohne entschiedene europäische Hilfe wird die griechische Krise die Ausmaße der Großen Depression der Jahre 1929-32 erreichen.

2.  Geteilte Verantwortung. Einmal abgesehen von der griechischen Regierung sind die europäischen Partner mitverantwortlich dafür, dass sie den Ereignissen vor der Krise untätig zusahen - und dafür, dass sie die Krise nach 2010 nicht angemessen bewältigt haben. Vor der Krise legte Griechenland gefälschte Zahlen über die Lage der öffentlichen Finanzen vor. Doch selbst diese gefälschten Zahlen hätten die Europäer veranlassen müssen, korrektive Maßnahmen nach dem Stabilitäts- und Wachstumspakt zu fordern. Offenbar schuf die Sonderbehandlung Deutschlands und Frankreichs, die den Stabilitätspakt ebenfalls verletzten und nicht bestraft wurden,  eine Atmosphäre, in der niemand mehr den Pakt wirklich ernst nahm. Auch die Marktteilnehmer, darunter deutsche und französische Banken, haben versagt, indem sie griechische Staatsanleihen mit einem sehr niedrigen Risikoaufschlag gegenüber deutschen Bundesanleihen kauften - und so die Botschaft sendeten, dass alles in Ordnung war. Zwar gehörten die niedrigen Spreads der Vergangenheit an, als die Krise Anfang 2010 ausbrach. Doch die staatlichen Kreditgeber, darunter auch die deutsche Regierung, machten einen kapitalen Fehler, als sie das Krisenmanagement übernahmen: sie begannen das erste Hilfsprogramm, ohne die Schulden zu reduzieren, und sie beharrten zu lange darauf, dass kein Schuldenschnitt nötig sein würde. Sie räumten ihren Fehler erst Ende 2011 ein - aber da hatten die staatlichen Kreditgeber die griechische Staatsschuld schon weitgehend „sozialisiert“.

3.  Selbstverteidigung. Je tiefer die griechische Wirtschaft fällt, je größer die Wahrscheinlichkeit, dass soziale Spannungen eskalieren, die die neue Regierung zu Fall bringen könnten. Wer würde Griechenland dann regieren? Ein Sturz der aktuellen Regierung würde den Austritt Griechenland aus dem Eurogebiet imminent machen. dies würde nicht nur Griechenland schaden, sondern  - über die Ansteckungs-Mechanismus - auch dem Rest der Eurozone. Die beste Selbstverteidigung der Euro-Partner ist es daher, Griechenland in der Währungsunion zu halten.

Viele Kommentatoren, insbesondere in Nordamerika, gehen schon jetzt davon aus, dass Griechenland den Euro verlassen wird, und dass andere Länder folgen werden. So schrieben Peter Boone und Simon Johnson in einer hellsichtigen Analyse vor den griechischen Wahlen: „Es ist beinahe unmöglich, Griechenland im Euro zu halten: Sparer ziehen ihr Geld aus den Banken ab, Steuerzahler verzögern ihre Steuerzahlungen, und Firmen halten ihre Zulieferer bei den Zahlungen hin. ... Wenn IWF-Chefs, EU-Politiker und Finanzjournalisten die Idee eines „Greek exit“ aufbringen, wird kaum noch jemand langfristige Verträge in Griechenland abschließen oder Investitionen tätigen. Mit der griechischen Wirtschaft kann es nur bergab gehen.“

Die Diagnose ist richtig. Auch ihre Schlussfolgerung, dass die Deutschen und die EZB nach einem „Grexit“ zögern würden, massiv EZB-Mittel für andere strauchelnde Süd-Euroländer bereitzustellen, ist plausibel. Anders als viele Politiker behaupten, ist Europa nicht auf einen eventuellen Austritt Griechenlands vorbereitet: eine massive Kapitalflucht aus mehreren Süd-Euroländern ließe sich nicht wirklich stoppen. Sie könnte zu einer ungeordneten und zerstörerischen Auflösung des Euroraums führen - es sei denn, man würde unmittelbar die Vereinigten Staaten von Europa ausrufen, was politisch nicht machbar erscheint.

Es gibt sehr starke wirtschaftliche und politische Argumente dafür, Griechenland nicht aus dem Euro austreten zu lassen. Die Wirtschaft würde massiv zusammenbrechen, und die Arbeitslosigkeit würde in die Höhe schießen. Die beste Art, eine beschleunigte Kapitalflucht aus anderen Krisenländern zu verhindern, besteht darin, die Integrität der Eurozone zu verteidigen. Beim Euro geht es letztlich nicht nur um die Wirtschaft, sondern er hat auch wichtige historische als auch politische Wurzeln.

Was wäre also zu tun?

Erstens sollte das laufende Hilfsprogramm für Griechenland neu verhandelt werden, wenn auch nur in bestimmten Bereichen. Während man fiskalische Ziele wegen der verschlechterten Wirtschaftslage anpassen kann und auch muss, sollten die Strukturreformen weitergeführt werden, da der öffentliche Dienst in Griechenland immer noch ineffizient und der Privatsektor immer noch schlecht reguliert ist.

Zweitens sollten die Europäer anerkennen, dass der wirtschaftliche Ausblick für Griechenland hoffnungslos ist. Das griechische Schicksal kann ohne bedeutende europäische Investitionen nicht zum Guten gewendet werden. Wobei zu beachten wäre, dass Investitionen nicht nur als  Hilfe und Kredit zu sehen sind.

Drittens sollten die Europäer anerkennen, dass die griechische Schuldenlast immer noch zu hoch ist. Selbst wenn das Austeritätsprogramm so umgesetzt wird, wie es vor einigen Monaten geplant war, ist es sehr unwahrscheinlich, dass Griechenland in der Lage sein wird, alle Schulden zurückzuzahlen. Je länger man  abwartet, dieser Wahrheit ins Gesicht zu blicken, desto mehr wächst die Unsicherheit für Griechenland, was auch die Wirtschaft negativ beeinflusst. Da die Europäer die griechische Schuld ohnehin schon „sozialisiert“ haben, kann eine spürbare Verringerung der Schuldenlast nicht ohne Beteiligung des öffentlichen Sektors gelingen. Dies ist der Preis, den die Euro-Partner für ihre Fehler im Management der Krise von 2010 bis 2011 gemacht haben.

Natürlich sollten diese Erleichterungen an Bedingungen geknüpft werden. Die Euro-Partner und die griechische Regierung müssten Wege finden, künftige Risiken für die Gläubiger zu reduzieren.

Viertens sollten die europäischen Partner erkennen, dass die Erleichterung, die die Wahlen in Griechenland gebracht haben, nur kurzlebig ist. Sie sollten daher damit beginnen, alle Fehler in der Gestaltung des Euros zu korrigieren. Am 29. Juni, nach dem EU-Gipfel, werden wir sehen, ob unsere Politiker dieser Aufgabe gewachsen sind.

About the authors

  • Zsolt Darvas

    Zsolt Darvas is a Senior Fellow at Bruegel and part-time Senior Research Fellow at the Corvinus University of Budapest. He joined Bruegel in 2008 as a Visiting Fellow, and became a Research Fellow in 2009 and a Senior Fellow in 2013.

    From 2005 to 2008, he was the Research Advisor of the Argenta Financial Research Group in Budapest. Before that, he worked at the research unit of the Central Bank of Hungary (1994-2005) where he served as Deputy Head.

    Zsolt holds a Ph.D. in Economics from Corvinus University of Budapest where he teaches courses in Econometrics but also at other institutions since 1994. His research interests include macroeconomics, international economics, central banking and time series analysis.

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