Opinion piece

Keine Energiewende ohne Energieunion

Die europäische Perspektive ist für den Erfolg der deutschen Energiewende entscheidend. Doch die europäischen Partner werden nicht einfach die deutsch

Publishing date
13 June 2016
Authors
Georg Zachmann

This op-ed was originally published in Frankfurter Allgemeine Zeitung.

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Alle Länder der Europäischen Union (EU) streben nach einer sicheren, umweltfreundlichen und preiswerten Energieversorgung. Zu diesem Zweck wollen die Mitgliedstaaten den Energiebinnenmarkt vollenden und bis 2030 gemeinsam den Anteil der Erneuerbaren und die Energieeffizienz erhöhen sowie den Treibhausgasausstoß senken.

Hiermit enden allerdings bereits die Gemeinsamkeiten. Weder können sich die Mitgliedstaaten einigen, wer wie viel zum Erneuerbaren- und Energieeffizienz-Ziel beitragen soll, noch haben sie eine gemeinsame Vorstellung davon, wie ein Energiebinnenmarkt aussehen könnte. Besonders eindrücklich lässt sich das anhand des Strommarktes illustrieren: Die Endkundentarife werden zwar gern als Marktergebnis dargestellt, sind aber faktisch in den Mitgliedstaaten politisch ausgehandelt. So repräsentiert der Strompreis im europäischen Großhandel nur noch ein Zehntel des deutschen Haushaltskundenpreises - die restlichen 90 Prozent werden von Beamten der deutschen Regulierungsbehörden und Ministerien bestimmt. In Frankreich legt der Präsident fest, zu welchem Preis der staatseigene Stromriese EdF französische Marktteilnehmer beliefert. Der Erzeugungsmix ist ebenfalls kein Ergebnis des Wettbewerbs der Stromunternehmen, sondern wird politisch gesetzt. Polen erhält verlustbringende Kohleverstromung am Leben, Deutschland fördert unter anderem Biomasse, Kraft-Wärme-Kopplung sowie Braunkohlekraftwerke, und Ungarn investiert Milliarden in neue Atomblöcke. Die Mitgliedstaaten greifen also in den Markt ein, um ihr in den europäischen Verträgen verbrieftes Recht, den nationalen Energiemix selbst zu bestimmen, umzusetzen.

Not originally included in the published op-ed.

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Nationale Energie- und Klimapolitik

Auch bei der Energieinfrastruktur gibt es in der EU Interessenkonflikte. Einerseits verhindern Mitgliedstaaten den Ausbau der grenzüberschreitenden Infrastruktur, damit einheimische Konsumenten nicht für Strom- oder Gastransitstrecken bezahlen müssen, die ihnen kaum nutzen. Andererseits fördern Mitgliedstaaten Infrastrukturprojekte, die ihren Nachbarländern schaden könnten. Insbesondere bei der Verdoppelung der Kapazität der Ostseepipeline - die es dem russischen Energieriesen Gazprom ermöglichen würde, Osteuropa von der Gasversorgung abzuschneiden, ohne die Lieferverpflichtungen in Westeuropa zu verletzen - kochen die Emotionen hoch.

Die deutsche Energiewende ist ein besonders klares Beispiel für nationale Energie- und Klimapolitik in der EU. Die deutschen Erneuerbaren- und Emissionsreduktions-Ziele orientieren sich nicht an den europäischen Zielwerten, und weder Atomausstieg und Netzausbaupläne noch Kapazitätszahlungen für Gas- und Braunkohlekraftwerke waren mit den Nachbarstaaten oder Brüssel abgestimmt. Politik und Öffentlichkeit in Deutschland scheinen überzeugt, dass sich die deutschen energiepolitischen Ziele am ehesten im Alleingang - oder, wie häufig formuliert, als Vorreiter - erreichen lassen.

Das ist eine Illusion. Die wichtigsten energiepolitischen Ziele Deutschlands lassen sich nur gemeinsam erreichen. Oder anders ausgedrückt - deutsche Politikmaßnahmen, die europäische Instrumente unterminieren, erschweren sogar das Erreichen der gemeinsamen Ziele. Ein Beispiel: Die deutsche Politik hat sich für eine rein nationale Förderung erneuerbarer Energien entschieden. Das soll die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Erneuerbaren-Industrie stärken, die Treibhausgasemissionen senken und den deutschen Atomausstieg flankieren. Die Ergebnisse sind allerdings zwiespältig.

Koordination mit den EU-Nachbarländern

Aufgrund des Ausbaus fallen die Strompreise in ganz Kontinentaleuropa, wenn in Deutschland der Wind weht und die Sonne scheint. Somit lohnt es sich für die Nachbarländer kaum mehr, selbst auf erneuerbare Energien zu setzen, da diese aufgrund ähnlicher klimatischer Bedingungen meist zeitgleich mit deutschen Anlagen produzieren würden. Das kann nicht im deutschen Interesse sein - denn es bedeutet, dass die teilweise alten Atomkraftwerke an den Grenzen noch viele Jahre weiterlaufen, die deutschen Emissionsreduktionen durch erhöhte Kohleverstromung anderswo kompensiert werden und die deutschen Anlagenbauer keine neuen europäischen Märkte erschließen können. Darüber hinaus führen die deutschen Erneuerbaren zu zusätzlichen Stromflüssen auf europäischen Stromautobahnen - auch weil die deutschen Leitungen häufig verstopft sind, wenn im Norden der Wind weht. Aus diesem Grund haben einige Nachbarländer den grenzüberschreitenden Stromhandel bereits mengenmäßig eingeschränkt. Sollte sich der Trend fortsetzen, könnte das für Deutschland negative Auswirkungen haben. Sollten überflüssiger Wind- und Sonnenstrom nur noch auf dem deutschen Markt landen, müsste er immer häufiger verschenkt werden, um überhaupt noch einen Abnehmer zu finden. Dann müsste die von den Kunden zu zahlende EEG-Umlage - die den Anlagenbesitzern die Differenz zwischen hoher Einspeisevergütung und niedrigem Marktpreis ersetzt - noch weiter steigen.

Umso wichtiger ist also eine Koordination mit den Nachbarländern. Eine bilaterale oder regionale Zusammenarbeit in einzelnen Bereichen - wie beispielsweise bei der Umgestaltung des Strommarktes - wird dabei nicht ausreichen. Aufgrund der großen Umverteilungswirkung von Harmonisierungen im Energiebereich würden an regionalen Einigungen nur Länder teilnehmen, die relativ ähnlich sind. Das sind dann aber Länder wie Dänemark oder die Niederlande, mit denen die Zusammenarbeit kaum größere Vorteile bringt. Themen wie grenznahe Atomkraftwerke, striktere gemeinsame Emissionsziele oder ein europaweiter Ausbau der Erneuerbaren würden sich damit nicht angehen lassen.

Energieunion soll Kompromisse ermöglichen

Ein möglicher Lösungsansatz ist hier die von Brüssel vorangetriebene Energieunion. Deren Ziel ist es, verschiedene Energiethemen so miteinander zu verknüpfen, dass weitreichende Kompromisse zwischen den Mitgliedstaaten möglich werden. Wenn also jedes Land bereit ist, auf zweitrangige Ziele zu verzichten, kann ein Paket gefunden werden, mit dem sich jedes Land besserstellt. Wenn Polen zum Beispiel schärfere Emissionsvorgaben akzeptiert, aber dafür Deutschland seine Solidarität bei der Gasversorgung garantiert; wenn Deutschland erneuerbare Energien auch außerhalb der Landesgrenzen fördert, dafür aber einen funktionierenden europäischen Binnenmarkt erhält; oder wenn Frankreich seinen Energiesektor liberalisiert, dafür aber mit höheren Emissionszertifikatepreisen kompensiert wird - dann kann eine für alle vorteilhafte Energieunion entstehen.

Solche Kompromisse werden schwerlich von den nationalen Energieministerien ausgehandelt werden können, da diese zu tief in die Partikularinteressen der einzelnen betroffenen Sektoren eingebunden sind. Daher ist es ein taktisches Ziel der Juncker-Kommission, das Thema Energie zur Chefsache zu machen - es also auf die Ebene der Staats- und Regierungschefs zu heben. Deutschland tut gut daran, diesen Prozess zu unterstützen.

 

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