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Wir brauchen Licht am Ende des Tunnels

Publishing date
25 September 2012
Authors
André Sapir

Interview mit Bruegel-Forscher André Sapir über das neue Anleihen-Programm der EZB

Die EZB hat ein neues Anleihenkaufprogramm, das so genannte OMT, angekündigt. Wofür brauchen wir ein solches Programm im Euroraum? Funktionieren die Anleihemärkte nicht richtig?

Ja, wir haben ein Problem mit den Märkten für Staatsanleihen im Euroraum. Die Ursache dafür liegt darin, dass Investoren das Risiko eines Auseinanderbrechens der Währungsunion einpreisen. Die Märkte verharren in einem schlechten Gleichgewicht, das von selbsterfüllenden Erwartungen und Prophezeiungen geprägt wird. Deshalb verlangen die Märkte eine Risikoprämie für die Anleihen mehrerer Euroländer. So ist der Spread zwischen Italien und Deutschland wesentlich höher, als dies durch objektive Daten über die Tatkraft ihrer Regierungen erklärt werden könnte. Nach Angaben des IWF und mehrerer privater Bankhäuser liegt die Risikoprämie bei rund 200 Basispunkten. Der Eingriff der EZB in den Markt für Staatsanleihen verfolgt das Ziel, die Erwartungen der Investoren über die Zukunft des Euro positiv zu beeinflussen und diese Risikoprämie zu beseitigen.

Ist dies die Aufgabe der Geldpolitik, oder mischt sich die EZB in die Fiskalpolitik ein, betreibt sie gar Staatsfinanzierung durch die Hintertür?

Das vorrangige Ziel der Geldpolitik der EZB ist die Preisstabilität im Euroraum. Um dieses Ziel zu erreichen, muss die Übertragung des geldpolitischen Signals repariert und die Einheit der Währungsunion wiederhergestellt werden. Denn der Euroraum ist in einen nördlichen und einen südlichen Block fragmentiert. Ich stimme EZB-Präsident Draghi zu, dass die Zentralbank einschreiten muss, um dieses Problem zu lösen.

Es gab bereits einmal ein Anleihenkaufprogramm, das so genannte SMP, doch es hat nicht funktioniert. Was ist im neuen OMT anders?

Die EZB scheint aus den Fehlern beim SMP gelernt zu haben. Drei Aspekte wurden geändert. Erstens: das OMT-Programm ist an strikte Konditionen gebunden. Ein Land, das das neue Programm in Anspruch nehmen möchte, muss Hilfe beim Rettungsschirm EFSF bzw. beim ESM angefordert und einem Anpassungsprogramm zugestimmt haben. Zweitens: Anleihekäufe nach dem OMT sind grundsätzlich unbegrenzt, so lange das Empfängerland die gestellten Bedingungen erfüllt. Dies hängt direkt mit dem ersten Punkt zusammen. Drittens: Das Eurosystem wird beim Anleihenkauf via OMT pari passu mit anderen Gläubigern behandelt. Andernfalls würde der Privatsektor keine Anleihen kaufen wollen, wenn die EZB interveniert. Die EZB würde also schlicht und einfach den Privatsektor ersetzen, und das OMT-Programm wäre zwecklos. Alle drei genannten Änderungen sind wichtig. Sie machen es sehr wahrscheinlich, dass OMT da funktionieren wird, wo SMP gescheitert ist.

Wieso stellt die EZB den Ländern Bedingungen, und nicht den Märkten? Das Grundproblem liegt doch bei den Märkten, oder?

Nein, ich behaupte nicht, dass die Märkte falsch liegen. Ich sage lediglich, dass sie in einem schlechten Gleichgewicht verharren. Für diese Situation gibt es zwei Ursachen. Zum einen liegt es am Design der Währungsunion: bisher fehlt ein „lender of last resort“ für solvente Regierungen. Diese Aufgabe wird die ECB nun de facto wahrnehmen, jedenfalls unter bestimmten Bedingungen. Wie wir in den letzten Wochen gesehen haben, hat dies die Erwartungen der Investoren bereits positiv beeinflusst und damit das Währungsrisiko reduziert. Der zweite Grund liegt in der Haushaltslage fragiler Länder wie Spanien oder Italien. Diese Lage habe die Länder teilweise selbst verursacht, sie muss durch Strukturreformen korrigiert werden.

Glauben Sie, dass die EZB die richtigen Bedingungen stellen wird?

Die EZB wird nicht allein handeln. Um das OMT-Programm zu starten ist auch ein EFSF- oder ESM-Programm nötig. Doch dies ist nur eine notwendige Bedingung, keine hinreichende. Deshalb wird die EZB eigene Bedingungen stellen, und zwar in voller Unabhängigkeit. Ob diese Konditionen passend ausgestaltet sein werden und ob sie die erwünschten Ergebnisse liefern, bleibt abzuwarten.

In der Vergangenheit hat die Eurogruppe immer auf Austeritätspolitik gesetzt, was der Wirtschaft geschadet hat. Könnte sich dies sich in Spanien wiederholen? Das Land steckt ja schon in einer tiefen Rezession...

Dies ist eine sehr wichtige Frage. Natürlich könnten die falschen Konditionen den Erfolg in Frage stellen. Aber ich hoffe, dass die EZB Bedingungen stellen wird, die den betroffenen Ländern helfen. Die Tatsache, dass das OMT-Programm dazu beiträgt, den Zinsdruck zu senken, schafft einen starken Anreiz für Strukturreformen. 

Was passiert, wenn ein Land, das über ein OMT-Programm gestützt wird, die Konditionen nicht mehr einhält? Ist es dann zum Untergang verdammt?

Nun, man hört oft den Einwand, dass die EZB nicht den Mut haben werde, ihre Anleihenkäufe einzustellen, wenn sich ein Land „falsch benimmt“, weil die dann zu erwartende Strafe allzu hart wäre. Ich mache mir diese Sicht nicht zu eigen. Länder wie Spanien und Italien, die derzeit einen Risikoaufschlag zahlen müssen, sind doch nicht in unmittelbarer Gefahr, deswegen ihre Schuldentragfähigkeit zu verlieren. Eine Unterbrechung des OMT - unter der Voraussetzung, dass diese Länder Hilfe von der EZB angefordert und bekommen hätten - würde ganz einfach bedeuten, dass sie zu ihrer aktuellen Lage zurückkehren. Und was die Frage betrifft, ob die EZB in der Lage wäre, ihre Hilfe einzustellen: Nun, die EZB ist unabhängig und daher in einer viel besseren Position als jedes politische Gremium.

Spanien möchte noch keinen Hilfsantrag stellen, was auch mit der Konditionalität zusammenhängt. Was passiert, wenn die Regierung in Madrid stur bleibt und ihre Meinung nicht ändert?

Meine Einschätzung ist, dass Spanien einen Antrag stellen wird. Natürlich hat Spanien einige Vorbehalte, aber Deutschland hat doch auch Bedenken. Die deutsche Bundesregierung macht sich Sorgen, dass ein EFSF/ESM-Programm für Spanien die Zustimmung des Bundestags benötigen könnte. Es gibt also sowohl in Madrid als auch in Berlin einige Zögerlichkeit, die vor allem mit innenpolitischen Gründen zusammenhängt. Für mich ist dies nur ein weiteres Beispiel für die generelle Neigung von Staaten, die Bitte um oder die Billigung von Hilfe zu verzögern, weil man politische Konsequenzen fürchtet - und das, obwohl die ökonomischen Folgen eindeutig positiv wären. Dessen ungeachtet glaube ich, dass Spanien um Hilfe bitten wird, dass Deutschland und die anderen Euroländer zustimmen werden und die EZB das OMT-Programm umsetzt.

Der Präsident der Bundesbank, Herr Weidmann, hat nicht für das OMT-Programm gestimmt. Verstehen Sie seine Bedenken?

Ja, durchaus. Ich bin nicht seiner Meinung, aber ich respektiere sie voll und ganz, und sie sollte nicht abgetan werden. Allerdings fürchte ich, dass die Alternative zu einem OMT-Programm wesentlich schlechter wäre. Wenn wir dies jetzt nicht tun würden, wären die Risikoaufschläge für Länder wie Spanien und Italien noch viel höher. Nach einer Weile würde dies ernste Probleme für diese Länder schaffen, selbst wenn sie die richtigen Reformen umsetzen. Das OMT-Programm bietet ihnen als Gegenleistung für ihre Reformen etwas Greifbares, das nur die EZB liefern kann, namentlich die Sicherheit, dass der Euro nicht auseinanderbrechen wird und dass das Währungsrisiko unbegründet ist. Wenn wir Reformen sehen wollen, dann müssen wir auch für Licht am Ende des Tunnels sorgen. Und wir müssen wissen, dass eine Währungsunion der zwei Geschwindigkeiten, mit einem dynamischen Kern und einer hinterherhinkenden Peripherie, nicht lebensfähig ist. Hohe Risikoaufschläge in der Peripherie behindern nämlich nicht nur die Staaten, sondern auch den Privatsektor. Das muss man im Hinterkopf behalten!

Nochmals, handelt die EZB im Rahmen ihres Mandats?

Ich bin kein Rechtsexperte. Alles was ich sagen kann, ist dass die EZB aus ökonomischer Sicht richtig handelt. Die EZB muss helfen, die Übertragungskanäle für Signale der Geldpolitik zu reparieren und die Einheit der Währungsunion wiederherzustellen. Dies ist eine Aufgabe, die nur die Zentralbank bewältigen kann.

Die Fragen stellte Eric Bonse

About the authors

  • André Sapir

    André Sapir, a Belgian citizen, is a Senior fellow at Bruegel. He is also University Professor at the Université libre de Bruxelles (ULB) and Research fellow of the London-based Centre for Economic Policy Research.

    Between 1990 and 2004, he worked for the European Commission, first as Economic Advisor to the Director-General for Economic and Financial Affairs, and then as Principal Economic Advisor to President Prodi, also heading his Economic Advisory Group. In 2004, he published 'An Agenda for a Growing Europe', a report to the president of the Commission by a group of independent experts that is known as the Sapir report. After leaving the Commission, he first served as External Member of President Barroso’s Economic Advisory Group and then as Member of the General Board (and Chair of the Advisory Scientific Committee) of the European Systemic Risk Board based at the European Central Bank in Frankfurt.

    André has written extensively on European integration, international trade and globalisation. He holds a PhD in economics from the Johns Hopkins University in Baltimore, where he worked under the supervision of Béla Balassa. He was elected Member of the Academia Europaea and of the Royal Academy of Belgium for Science and the Arts.

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