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Fünf Schritte zur europäischen Bankenunion

Publishing date
25 September 2012

Bruegel-Direktor Jean Pisani-Ferry und sein Stellvertreter Guntram Wolff zu Chancen und Risiken des neuen EU-Projekts

Die Chefs der Eurozone haben beschlossen, eine Bankenunion zu gründen. Damit wollen sie den Teufelskreis aus schwachen Banken und zahlungsunfähigen Staaten durchbrechen. Dies ist ein wichtiger Schritt und eine angemessene Antwort auf die zunehmende finanzielle Fragmentierung des Europäischen Währungsraums. Mitte September hat die EU-Kommission ihre Vorschläge für eine gemeinsame Bankenaufsicht vorgelegt. Die Diskussion über diese Vorschläge wird bald beginnen. Sie wird zwangsläufig sehr komplex, technisch und kontrovers verlaufen. Denn das Misstrauen ist groß, und die Ansichten zwischen den Euroländern sind sehr verschieden. Dennoch ist es wichtig, die Debatte zum Erfolg zu führen. Dazu soll unser Fünf-Punkte-Plan beitragen.

1. Streben Sie eine umfassende Lösung an. Eine echte Bankenunion muss nicht nur eine Aufsicht umfassen, wie sie derzeit diskutiert wird. Es geht auch um Abwicklung - also die Frage, wie wir mit maroden Finanzinstituten umgehen - und um den Zugang zu einer gemeinsamen finanziellen Absicherung. Alle drei Elemente gehören zusammen. Eine gemeinsame Aufsicht ohne gemeinsame Einlagensicherung würde darauf hinauslaufen, dass die nationalen Steuerzahler für die Fehler der EZB-Aufsicht zahlen müssen. Eine gemeinsame Einlagensicherung ohne gemeinsame Abwicklung würde ebenfalls Konflikte auslösen. Denn die nationalen Abwicklungsbehörden würden geradezu aufgefordert, die Kosten auf den europäischen Steuerzahler zu verlagern, anstatt die Geldgeber der Bank zur Verantwortung zu ziehen. Wenn ein Element fehlt oder schlecht entwickelt wird, würde das gesamte System geschwächt. Genau wie die Raumfähre Challenger, die wegen einer winzigen Versiegelung am rechten Triebwerk nach dem Start explodierte, wird auch die Bankenunion nur so stark wie ihr schwächstes Glied sein. Wenn auch nur ein kleines Element falsch konzipiert wird, könnte dies den Erfolg des gesamten Unternehmens gefährden.

2. Verwechseln Sie Erblasten nicht mit permanenten Kosten. Marode Banken sind ein Alptraum, aber eine Bankenunion ist kein Krankenhaus. Sie ist nur für jene Banken gedacht, die so gesund sind, dass sie ein robustes Screening überstehen. Die Kosten für Bad Banks sollten jenen überlassen werden, die sie in erster Linie verursacht haben, d.h. die Gläubiger der Banken und die nationalen Aufseher. Die einzige Ausnahme sollte für den Fall gemacht werden, dass die Solvenz eines Staates in Gefahr gerät. In diesem Fall sind Partnerländer so oder so betroffen. Es ist daher ratsam, eine direkte Rekapitalisierung durch eine europäische Institution durchzuführen. Wir möchten nochmals betonen, dass dazu zumindest die Anfänge einer gemeinsamen Bankenaufsicht und einer gemeinsamen Abwicklung benötigt würden.

3. Lassen Sie sich nicht ablenken. Die Bankensysteme in Europa sind heterogen. Frankreich hat fast nur systemrelevante Banken, während das Deutsche System die Deutsche Bank umfasst - eine Institution von Weltklasse -, aber auch eine große Zahl kleiner Sparkassen. Deutschland hat sechs verschiedene Einlagensicherungssysteme. Der Versuch, Einlagensicherungen miteinander zu verschmelzen, wäre extrem zeitaufwendig und würde viel politisches Kapital verzehren, und das für einen sehr begrenzten Nutzen.

4. Bereiten Sie sich auf das Schlimmste vor. Eine gute Abwicklungsstrategie zielt darauf ab, die Kosten für die Steuerzahler zu minimieren, und zugleich die wirtschaftliche und finanzielle Stabilität zu sichern. Die Beteiligung der Gläubiger und die Schließung von Banken sind in dieser Hinsicht sehr wichtig. Aber die Geschichte zeigt auch, dass große Bankenkrisen hohe fiskalische Kosten verursachen: in einem Drittel der Fälle von Bankenkrisen in hochentwickelten Ländern überstiegen die direkten Kosten für das Staatsbudget 10 Prozent des BIP. Solch enorme Kosten allein den nationalen Steuerzahlern zu überlassen, könnte die Zahlungsfähigkeit des Staates gefährden. Die aktuell in der Eurozone zu beobachtende Disintegration der Finanzwirtschaft und der Realwirtschaft sind logische Folgen dieses Problems. Der erfolgreiche Aufbau der Bankenunion ist daher eine unverzichtbare Voraussetzung für fiskalische Lastenteilung. 

5. Setzen Sie die richtigen Anreize. Der Aufbau eines gemeinsamen finanziellen Sicherungssystems wirft wichtige Fragen auf. Es geht dabei um mögliche Verteilungsprobleme, die Beiträge zum Versicherungspool sowie den viel beschworenen moral hazard. Das System muss so angelegt werden, dass es die richtigen Anreize setzt. Dies bedeutet, dass die nationalen Steuerzahler immer einbezogen werden sollten. Es heißt aber auch, dass Vereinbarungen zur Lastenteilung getroffen werden müssen, bevor die Kosten auftreten. Es wäre falsch, auf eine „konstruktive Vieldeutigkeit“ zu setzen, denn dies wäre in einer Krise nicht sehr glaubwürdig. Die finanzielle Sicherung muss daher von einer robusten Institution getragen werden, die auch schwere Krisen überstehen kann. Dafür können verschiedene Optionen in Betracht gezogen werden. Ein europäischer Fond, der sich aus Beiträgen der Finanzindustrie finanziert, hätte große Vorteile. Aber es wäre unwahrscheinlich, dass er in den nächsten zehn Jahren über ausreichende Eigenmittel verfügt. Der ESM könnte ebenfalls als finanzielle Sicherung dienen. Er wäre bei einer dramatischen Bankenkrise zwar überfordert, hat jedoch den Vorteil, über eine klare Entscheidungsstruktur zu verfügen. Langfristig sollte man eine europäische Steuer mit einer angemessenen demokratischen Legitimierung in Betracht ziehen.

Die Bankenunion ist ein wichtiges Element in dem Versuch, die Fragmentierung der Eurozone abzuwenden. Sie kann Schritt für Schritt aufgebaut werden, darf jedoch nicht unvollendet bleiben.

Dieser Beitrag beruht auf dem kürzlich veröffentlichten Bruegel Policy Brief No 2012/02 The Fiscal Implications of a Banking Union

About the authors

  • Jean Pisani-Ferry

    Jean Pisani-Ferry is a Senior Fellow at Bruegel, the European think tank, and a Non-Resident Senior Fellow at the Peterson Institute (Washington DC). He is also a professor of economics with Sciences Po (Paris).

    He sits on the supervisory board of the French Caisse des Dépôts and serves as non-executive chair of I4CE, the French institute for climate economics.

    Pisani-Ferry served from 2013 to 2016 as Commissioner-General of France Stratégie, the ideas lab of the French government. In 2017, he contributed to Emmanuel Macron’s presidential bid as the Director of programme and ideas of his campaign. He was from 2005 to 2013 the Founding Director of Bruegel, the Brussels-based economic think tank that he had contributed to create. Beforehand, he was Executive President of the French PM’s Council of Economic Analysis (2001-2002), Senior Economic Adviser to the French Minister of Finance (1997-2000), and Director of CEPII, the French institute for international economics (1992-1997).

    Pisani-Ferry has taught at University Paris-Dauphine, École Polytechnique, École Centrale and the Free University of Brussels. His publications include numerous books and articles on economic policy and European policy issues. He has also been an active contributor to public debates with regular columns in Le Monde and for Project Syndicate.

  • Guntram B. Wolff

    Guntram Wolff is a Senior fellow at Bruegel. He is also a Professor of Public Policy and Economics at the Willy Brandt School of Public Policy. From 2022-2024, he was the Director and CEO of the German Council on Foreign Relations (DGAP) and from 2013-22 the director of Bruegel. Over his career, he has contributed to research on European political economy, climate policy, geoeconomics, macroeconomics and foreign affairs. His work was published in academic journals such as Nature, Science, Research Policy, Energy Policy, Climate Policy, Journal of European Public Policy, Journal of Banking and Finance. His co-authored book “The macroeconomics of decarbonization” is published in Cambridge University Press.

    An experienced public adviser, he has been testifying twice a year since 2013 to the informal European finance ministers’ and central bank governors’ ECOFIN Council meeting on a large variety of topics. He also regularly testifies to the European Parliament, the Bundestag and speaks to corporate boards. In 2020, Business Insider ranked him one of the 28 most influential “power players” in Europe. From 2012-16, he was a member of the French prime minister’s Conseil d’Analyse Economique. In 2018, then IMF managing director Christine Lagarde appointed him to the external advisory group on surveillance to review the Fund’s priorities. In 2021, he was appointed member and co-director to the G20 High level independent panel on pandemic prevention, preparedness and response under the co-chairs Tharman Shanmugaratnam, Lawrence H. Summers and Ngozi Okonjo-Iweala. From 2013-22, he was an advisor to the Mastercard Centre for Inclusive Growth. He is a member of the Bulgarian Council of Economic Analysis, the European Council on Foreign Affairs and  advisory board of Elcano.

    Guntram joined Bruegel from the European Commission, where he worked on the macroeconomics of the euro area and the reform of euro area governance. Prior to joining the Commission, he worked in the research department at the Bundesbank, which he joined after completing his PhD in economics at the University of Bonn. He also worked as an external adviser to the International Monetary Fund. He is fluent in German, English, and French. His work is regularly published and cited in leading media. 

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