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Eine Agenda für die Rettung Europas

ie Staats- und Regierungschefs der EU treffen sich Ende Juni wieder in Brüssel. Diesmal müssen sie nicht nur die Frage beantworten, ob sie dieses od

Publishing date
25 June 2012

An English version of this column is available at "An Agenda for Europe’s Worn-out Magicians"

Die Staats- und Regierungschefs der EU treffen sich Ende Juni wieder in Brüssel. Diesmal müssen sie nicht nur die Frage beantworten, ob sie dieses oder jenes Land retten können. Es geht vielmehr darum, ob sie den gesamten Euroraum retten können.

Um dies zu verstehen, genügt ein Blick auf die Ereignisse der letzten zwölf Monate. Im Juli 2011 einigten sich die Europäer auf eine (zu dieser Zeit eng begrenzte) Umschuldung Griechenlands. Gleichzeitig machten sie die finanzielle Unterstützung flexibler und günstiger. Doch ein Jahr später steht Griechenland immer noch auf Messers Schneide. Im Herbst rangen die Europäer über die Frage, welche Antwort sie auf den Anstieg der spanischen und italienischen Risikoprämien geben sollten - bis die Europäische Zentralbank schließlich die Entscheidung traf, die Schmerzen durch groß angelegte Liquiditätssspritzen für die Banken zu lindern. Doch trotz der Ankunft neuer, reformbereiter Regierungen sowohl in Italien als auch in Spanien erwies sich die Linderung als kurzlebig. Im Dezember einigten sich die Europäer auf einen neuen Fiskalpakt, auf die Erhöhung der finanziellen Brandschutzmauer, und auf die Bereitstellung neuer Mittel für den IWF, so dass der Währungsfonds in größerem Stil intervenieren konnte. Doch schon im Frühjahr erreichten die Risikoprämien für Spanien und Italien erneut untragbare Niveaus. Schließlich beschlossen die Euro-Chefs im Juni, 100 Mrd. Euro für not leidende Banken in Spanien bereitzustellen. Doch die Märkte ließen die Spreads nur noch weiter ansteigen.

Entgegen anderslautenden Meldungen sind die Europäer in den letzten zwölf Monaten nicht inaktiv geblieben. Aber sie haben den Überblick verloren. Wie alternde Zauberer wenden sie immer noch dieselben Tricks an, die früher so großen Eindruck machten, doch die heute nicht mehr die gewünschten Resultate liefern oder sich  - schlimmer noch - als kontraproduktiv erweisen. Derweil geht die finanzielle Fragmentierung innerhalb der Eurozone weiter. Spanien und in geringerem Ausmaß Italien sehen einem scheinbar unaufhaltsamen Anstieg ihrer Spreads zu, und politische Spannungen werden täglich immer sichtbarer.

Natürlich kann ein Gipfel keine Entscheidungen bringen, für die es monatelange Vorbereitung braucht. Aber die Chefs haben dort die  Chance, Eindruck zu machen und das Blatt zum positiven zu wenden, wenn sie  umfassend, entschieden und vorausschauend handeln. Hier ist eine Fünf-Punkte-Agenda für den Gipfel:

1.    Akzeptieren Sie eine begrenzte Neuverhandlung des Anpassungsprogramms für Griechenland. Die Bombe ist noch lange nicht entschärft. Während die Griechen zwei Wahlen abgehalten haben, hat sich die Rezession verschlimmert und die Reformen sind zum Stillstand gekommen. Das EU-IWF-Programm ist aus der Spur, die EU sollte diese Tatsache anerkennen. Zudem sollte der Fokus mehr auf Wachstum gelegt werden. Die EU sollte bestehende Transferzahlungen straffen und vorziehen, und sie sollte helfen, zur Privatisierung vorgesehenen Staatsbesitz mit frischem Kapital auszustatten.

2.    Beschließen Sie ein Konzept zur Aufteilung der Verluste der spanischen Banken. Das bisherige Konzept, dem Staat mehr Geld zu leihen, damit er seine Banken rekapitalisieren kann, erhöht die Schuldenlast und verschreckt die Märkte. Die spanische Bankenrettung vollständig zu vergemeinschaften, wäre inakzeptabel für die Steuerzahler in den Partnerländern. Die Lösung dieses Problems liegt darin, dass Spanien die ersten Verluste tragen sollte. Ab einer gewissen Schwelle, sagen wir 5 bis 10 Prozent des BIP, sollte der Euro-Rettungsschirm einspringen. Die Märkte müssen wissen, dass die europäischen Partner es nicht zulassen werden, dass die Bankenkrise den spanischen Staat in den Bankrott treibt.

3.    Entwerfen Sie ein Konzept für eine Bankenunion und beginnen Sie eine Diskussion über die wichtigsten Parameter. Eine Bankenunion, die eine gemeinsame Einlagensicherung, eine Bankenaufsicht und Regeln für die Krisenresolution umfasst, würde entscheidend dazu beitragen, die wechselseitige Ansteckung von Banken und Staaten zu verhindern. Genau deshalb wurde diese Idee beim letzten G20-Gipfel in Mexiko aufgebracht. Allerdings ist dies ein sehr ambitioniertes Unterfangen, das nicht über Nacht begonnen werden kann. Um Entschlossenheit zu zeigen, sollten sich die Euro-Chefs auf eine Liste zu regelnder Punkte einigen und ihre Minister beauftragen, bis zum Herbst eine Lösung zu finden.

4.    Arbeiten Sie Optionen für Eurobonds aus. Spanien kann sich mit finanzieller Unterstützung noch ohne die Märkte finanzieren, Italien jedoch nicht. Sollte sich die Lage verschlechtern, wäre eine Vergemeinschaftung der Schulden die letzte Alternative zu einem weitreichenden Default. Die EU-Kommission und verschiedene Forscher haben Modelle für eine teilweise Vergemeinschaftung der Schulden vorgelegt, aber es hat nie eine seriöse Debatte über ihre Konditionen und Implikationen stattgefunden. Die Chefs können in dieser Phase noch keine Entscheidungen treffen, doch sie sollten eine Gruppe von Weisen (hoffentlich nicht nur Männer) beauftragen, Optionen zu bewerten und bis zum Ende des Sommers Bericht zu erstatten.

5.    Schaffen Sie die Bedingungen für makroökonomische Anpassung. Südeuropa ist im Vergleich zum Norden nicht mehr wettbewerbsfähig. Es braucht eine Deflation, um wieder zum Produktionsstandort zu werden. Allerdings ist diese Strategie nicht nur sehr schmerzhaft, sondern sie erschwert auch die Rückkehr zu öffentlicher und privater Schuldentragfähigkeit. Mit einem niedrigeren nominalen Einkommen und  demselben Schuldenstand wird die Gefahr eines Defaults notwendigerweise größer. Der Ausweg aus diesem Dilemma ist, dass Nordeuropa zeitweise etwas höhere Inflationsraten akzeptieren sollte, solange die Preisstabilität in der Eurozone insgesamt gewahrt bleibt.  Glücklicherweise haben deutsche Politiker zu verstehen gegeben, dass sie diese Logik verstehen. Die Chefs sollten daraus nun einen Konsens formulieren.

Am wichtigsten ist aber, dass die Eurochefs die politische Blockade lösen, auch wenn dies kein eigener Agendapunkt ist. Deutschland möchte keine größere finanzielle Solidarität, wenn sie nicht von politischer Integration begleitet wird. Frankreich will finanzielle Solidarität ohne mehr politische Integration. Beide Lager haben mindestens ein Vierteljahrhundert auf ihren Positionen beharrt. Es wird höchste Zeit, dass sie den Graben überbrücken. Denn der Eindruck, dass sich die Europäer auf abstruse technische Details einigen können, aber nicht auf die Essentials, ist ein fundamentaler Grund dafür, dass die Zauberer ihre Magie verloren haben und das die Märkte das Vertrauen in den Euro verlieren.

About the authors

  • Jean Pisani-Ferry

    Jean Pisani-Ferry is a Senior Fellow at Bruegel, the European think tank, and a Non-Resident Senior Fellow at the Peterson Institute (Washington DC). He is also a professor of economics with Sciences Po (Paris).

    He sits on the supervisory board of the French Caisse des Dépôts and serves as non-executive chair of I4CE, the French institute for climate economics.

    Pisani-Ferry served from 2013 to 2016 as Commissioner-General of France Stratégie, the ideas lab of the French government. In 2017, he contributed to Emmanuel Macron’s presidential bid as the Director of programme and ideas of his campaign. He was from 2005 to 2013 the Founding Director of Bruegel, the Brussels-based economic think tank that he had contributed to create. Beforehand, he was Executive President of the French PM’s Council of Economic Analysis (2001-2002), Senior Economic Adviser to the French Minister of Finance (1997-2000), and Director of CEPII, the French institute for international economics (1992-1997).

    Pisani-Ferry has taught at University Paris-Dauphine, École Polytechnique, École Centrale and the Free University of Brussels. His publications include numerous books and articles on economic policy and European policy issues. He has also been an active contributor to public debates with regular columns in Le Monde and for Project Syndicate.

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